Persönlicher Einwurf von EUD-Generalsekretär Christian Moos zur Lage an der griechisch-türkischen Grenze

„Die Europäische Union gibt kein gutes Bild ab. Die griechische Regierung setzt das Asylrecht aus, und die Spitzen der EU-Institutionen erklären Athen ihre Solidarität, obwohl die dortige Regierung gegen internationales Recht verstößt. Der Umgang der EU mit der menschenrechtlichen Notlage an der europäisch-türkischen Grenze ist eine Schande für Europa."

„Daraus folgt nicht, dass die EU ihre Grenzen für Millionen Menschen aus dem Nahen und Mittleren Osten öffnen könnte. Die Flüchtlingssituation des Jahres 2015 hat destabilisierend auf die politischen Systeme vieler Mitgliedstaaten gewirkt. Zumindest hat sie zu erheblichen Verschiebungen im Parteiengefüge fast aller Mitgliedstaaten und großenteils auch zu einer Radikalisierung geführt, rechtspopulistische Bewegungen beflügelt. Sie hat die EU politisch gespalten – oder bereits bestehende Gräben zwischen den Mitgliedstaaten vertieft. Vor diesem Hintergrund wäre es fahrlässig, eine Situation wie 2015 zu wiederholen.

All das entbindet die EU und ihre Mitgliedstaaten jedoch nicht von internationalen Verpflichtungen. Es bedeutet weder, dass die flüchtenden Menschen sich selbst überlassen werden dürfen, noch rechtfertigt es die unmenschlichen, unvertretbaren Zustände, die offenbar in den Flüchtlingslagern und im Grenzraum zu beklagen sind.

Das europäische Politikversagen beginnt nicht erst mit der Aufkündigung des in vielerlei Hinsicht problematischen Flüchtlingsabkommens mit der Türkei. Die EU hat die Zeit, die sie mit dieser Vereinbarung gewonnen hat, in keiner Weise genutzt. Die Staats- und Regierungschefs müssen sich ihrer Verantwortung stellen, und die setzt nicht erst bei den Symptomen einer Krise an.

Der Weg zum Frieden in Syrien führt zwangsläufig über Russland. Die EU und Russland müssen sich auf Augenhöhe an einen Tisch setzen und eine Lösung für Syrien finden, die zu einer effektiven Befriedung führt und die Menschenrechtslage in und um Syrien nachhaltig verbessert. Dabei darf es nicht um Appeasement gehen. Türkische Sicherheitsinteressen sind zu wahren, neo-osmanische Träume aber klar zurückzuweisen.

Wohlfeile Reden allein bewirken nichts, und die Lage wird immer schlimmer, sicherheitspolitisch und menschenrechtlich, wenn die EU nicht endlich mit einer Stimme spricht und als glaubwürdiger Akteur in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft wirksam wird.

Gewiss bleibt Russlands Ukraine-Aggression eine große Hürde für eine neue europäisch-russische Perspektive. Jedoch wird es, wenn diese großen Fragen nicht beantwortet werden, zu noch schlimmeren humanitären Katastrophen an Europas Außengrenzen kommen, und die EU droht ihre Seele zu verlieren. Denn die Gemeinschaft gründet auf universellen Werten und nicht nur auf der Menschenwürde ihrer eigenen Bürgerinnen und Bürger.

Es bleibt dabei: Die EU braucht sowohl eine weitsichtige, glaubwürdige Außen- und Sicherheitspolitik als auch eine Asyl- und Migrationspolitik – und beides im Einklang mit den europäischen Werten und dem internationalen Recht. Besser zusammen, lautet auch hier die Parole."